Android Netrunner besser als das Original?
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Mein Gegenüber spielt Haas Bioroid und ich Gabriel Santiago, den kriminellen Runner. Wir beide sind nur je eine Agenda von einem Sieg entfernt. In einem ausgelagerten Server liegt eine Karte mit zwei Entwicklungsmarkern darauf: verlockend – zu verlockend! Die Karte liegt da bereits seit zwei Runden, eine Agenda hätte er sicher schon längst eingesackt. Ich besitze genug Credits und habe in seinem Archiv eine Hintertür installiert – den Server kann ich mir immer noch vornehmen. Also erst einmal durch die Hintertür in sein HQ eindringen. Er wirkt nervös, ich ziehe ein Karte – Mist! Nur ein ICE. Aber habe ich da gerade Erleichterung in seinen Augen gesehen? Ich denke ja. Ich bin also auf dem richtigen Weg: die Karte im Ausgelagerten Server muss eine Falle sein. Er muss die eine, die entscheidende Agenda auf der Hand haben. Also noch ein Run auf seine Hand! Und noch einer! Und noch einer! Nichts! Nichts! Und wieder nichts! Wie kann man nur soviel Pech haben?
Meine Runde ist vorbei und ich habe nichts erreicht. Dann halt in der nächsten Runde. Doch dann sackt mir mein Herz sackt in die Hose, als mein Gegenspieler drei weitere Entwicklungsmarker auf die “Falle” legt und dabei selbstgefällig lächelt. Mir wird klar, eine weitere Runde wird es nicht geben.
Die Unterschiede zwischen Android Netrunner und dem Original
Das macht das Spiel als Runner aus – nicht zu wissen wo die Ziele sind und welche Gefahren auf dem Weg lauern. Im Angesicht begrenzter Ressourcen jede Aktion abwägen: lohnt sich der Einsatz von Click und Credits? Riskiere ich zu viel? Wird der Konzern mich aufspüren und flatlinen?
Und obwohl der Konzernspieler stets mehr als der Runner weiß, steht auch er vor schwierigen Entscheidungen: soll er eine Agenda installieren? Ist sie ausreichend geschützt? Kann er es sich leisten sie auf der Hand zu halten? Ist er zu zögerlich sammeln sich die Agenda auf der Hand und was wenn der Runner dann über eine Hintertür verfügt? Was tun?
Wer das Original kennt, dem dürfte all das bekannt vorkommen – das war es was Netrunner zum besten Sammelkartenspiel der Neunziger machte und uns ungezählte Stunden fesselte. Nur ein Spiel noch! Nur ein Versuch! Diesmal muss es gelingen! Und das ist auch der Grund warum Fantasy Flight Games Remake – Android Netrunner so sehnlich von den Fans erwartet wurde. Wenn das Original aber schon so großartig war, kann das Remake dann wirklich besser sein?
Es kann!
Android Netrunner ist ein Living Card Game und nicht ein Sammelkartenspiel wie das Original. Vorbei also die Zeiten, in denen man unzählige Booster aufreißen musste. Immer auf der Suche nach der einen noch fehlenden Karte. Booster rippen nannten wir das damals. Am Ende saß man dann auf dem Boden seines Jugendzimmers, vor einem Haufen ungeliebter Common Cards. Gerade mal geeignet um sie Neueinsteiger zu schenken, oder gleich als Bierdeckel zu verwenden.
Das original Netrunner konnte sich nicht unbedingt eines ausgefeilten Deckbuildings rühmen. Allein die Anzahl Agenda Punkte war vorgegeben – der Rest war dem Spieler überlassen. Ob ich eine Karte ein-, oder dreißigmal im Deck hatte, war meine Sache. Das führte dann schnell dazu, dass Decks mit bestimmten Karten geflutet wurden; bis zu dem Punkt wo sie nur noch aus Must-Haves bestanden. Der Spaß blieb dabei auf der Strecke. Hier ist Android Netrunner seinem Vorfahren um längen voraus: jede Karte darf nur drei mal in einem Deck vorkommen – das sorgt für Abwechslung und erhält den Spielspaß.
Und noch mehr macht Android Netrunner richtig: so wurden Fraktionen für Runner und Konzerne eingeführt. Ein Deck darf nur noch aus den Karten der eigenen Fraktion, neutralen Karten sowie einigen wenigen Karten anderer Fraktionen verwendet werden. Wie viele das sind, bestimmt der sogenannte Einfluss. Eine neue Karteneigenschaft, die sicher stellt, dass die verschiedenen Fraktionen ihren Flair nicht verlieren. So spielt sich der kriminelle Runner Gabriel Santiago völlig anders als der Anarcho Noise, oder die Gestalterin Kate McCaffrey. Und auch die vier Konzerne haben ihre ganz eigenen Spielweisen.
Wer jetzt mitgezählt hat, dem ist aufgefallen, dass es sieben Fraktionen gibt. Nicht zwei, wie im Original – nein, Fantasy Flight Games hat sich mit nicht weniger als sieben zufrieden gegeben. Und für jede gibt es ein spielbares Deck im Grundspiel. Decks von der Art, wie man sie auch selber bauen würde. Da können sich andere Living Card Games eine Scheibe von abschneiden (ja ich meine Dich Game Of Thrones!).
Es gibt noch einige subtilere Neuerungen, wie eine Angepasste Aufspürmechanik, oder neu eingeführte negative Publicity. Auf boardgamegeek.com gibt es eine vollständige Übersicht in englischer Sprache.
Die Konzerne der Android Netrunner Welt
Haas Bioroid “Effektiv. Verlässlich. Menschlich.”: zeichnet sich durch ein schnelles Spiel aus. Er installiert mehr ICE und Assets als andere Konzerne, hat größeren Handlungsspielraum, weiß auch sein Archiv zu nutzen und schränkt den Spielraum des Runners ein, indem er ihm Clicks stiehlt. Das ganze wird durch eine solide Wirtschaft unterstützt. Für mich einer der stärksten Konzerne – ganz sicher aber der Konzern, der den meisten Spaß bringt.
Das Weyland-Konsortium “Auf dem Weg nach oben”: der Stärkste der vier Konzerne. Für das frühe Spiel verfügt Weyland über günstiges ICE, dass mit seinen Mitteln wächst. Im späten Spiel kann er dann auch auf das stärkste (aber auch teuerste) ICE im Spiel zurückgreifen, und selbst das kann er noch verstärken! Weyland spielt sich aber sehr konservativ, ein Server ist ihm genug. Hinter hohen Mauern aus Bits & Bytes spielt er dann seine günstigen Agenda, die er im selben Zug installieren und Entwickeln kann. Das übt Druck auf den Runner aus, der sich die ganze Zeit fragt, wie zum Henker er an das Weyland Ice vorbei kommen soll.
NBN “Du bist nie unbeobachtet.”: ist darauf spezialisiert den Runner aufzuspüren, um ihm dann schlimme Dinge anzutun. So zumindest die Idee. Das schlimmste was NBN dem Runner aber antun kann, ist sein Konto zu sperren, oder seine Ressourcen zu zerstören. Alles ärgerlich, aber nichts im Vergleich zu Weylands “Verbrannte Erde”, die den Runner stets mit dem Tod droht. Und obwohl die Aufspürmechanik deutlich überarbeitet wurde, ist sie doch eher eine Rechenaufgabe für den Runner, als eine echte Bedrohung. NGN aber auch Gutes: er verfügt über schnell zu entwickelnde Agenda und eine solide Auswahl ICE, die sich nicht hinter der anderer Konzerne zu verstecken braucht.
Jinteki “Die menschliche Note.”: ist der hinterhältigste der Konzerne. Kein Konzern hat mehr Fallen im Deck. Darunter einige, die dem Runner immer schaden, egal wann und wo er auf sie trifft. Abgesehen von diesem recht destruktiven Spiel, hat Jinteki leider wenig zu bieten. Das ICE hindert den Runner oftmals nicht am Zugriff auf die Server, die Agenda sind eher teuer und die Wirtschaft ist so solide wie Griechenlands Staatshaushalt. Zu allem Überfluss erfordern Jintekis fallen oftmals ein sehr gutes Timing und viel Spielpraxis um erfolgreich zu sein. Thema und Idee Jintekis gefallen mir durchaus, leider ist er aber der schwächste Konzern des Grundspiels.
Die Runner
Gabriel Santiago – Krimineller Vollprofi: liebt Runs auf die Hand des Konzernspielers. Wenn diese zu gut gesichert ist – dann eben durch die Hintertür über das Archiv. Er hat von allen Runnern die wenigsten Geldnöte. Und woher bekommt er das Geld? Vom Konzern natürlich! Das ist für diesen doppelt bitter: zu sehen, wie der Runner plötzlich all sein Geld stielt, mit dem er eigentlich sein ICE aktivieren wollte. Das schmerzt. Für mich ist Santiago der stärkste Runner des Grundspiels und die Partien zwischen ihm und Haas Bioroid bringen den meisten Spaß, sind sie doch die ausgewogensten.
Noise – Anarchistischer Meisterhacker: ergötzt sich an Chaos und Zerstörung. Er liebt es Viren zu installieren, die das ICE des Konzerns zerstören oder ihm das Deck leerfegen. Noise ist durchaus interessant zu spielen, hat aber leider ähnliche Probleme wie Jinteki: zu wenig Geld und zu viel zu tun. Das macht ihm zum schwächsten und am schwierigsten zu spielenden Runner des Grundspieles. Etwas für Spieler, die es sich nicht zu leicht machen wollen.
Kate “Mac” McCaffrey – Gestalter und Digital-Bastlerin: bringt eine große Auswahl nützlicher Programme und Hardware auf den Tisch. Sie spielt sich sehr konservativ, ohne rechte Vorliebe für den einen, oder anderen Server. Runs werden nicht überhastet, sondern sorgsam geplant und dann mit großer Sicherheit ausgeführt. Mit “Magnus Opus” verfügt sie über eine der stärksten Finanzkarten im Spiel, so dass auch sie selten Probleme hat ihre Runs, wie geplant, durchzuziehen. Nicht ganz so stark wie Gabriel, aber auch nicht viel schwächer.
Fazit
Android Netrunner ist besser als das Original. Das Deckbuilding und einige Spielmechaniken wurden leicht, aber intelligent überarbeitet. Das Spiel wurde durch die Identitäten, um jede Menge Flair bereichert und alles was Netrunner zu einem so spannenden Spiel machte wurde beibehalten.
Was denkt ihr? Gefällt Euch das Remake ebenso gut, oder findet ihr es überflüssig? Welches sind eure liebsten Runner, welches eure liebsten Konzerne? Hinterlasst einen Kommentar.
[UPDATE]
Ich hatte eine kleine Diskussion mit dem Admin von Android: Netrunner The Card Game. Er teilt meine Meinung nicht wirklich, dass Android: Netrunner besser ist als das Original. Das Original hatte, gerade in Europa und vor allem in Frankreich, eine starke Turnierszene, die nie ausstarb. Dort hat man sich schon früh Gedanken um einige der Kritikpunkte gemacht, die auch ich hatte. Daraus ist das beliebte 1/15 Turnierformat entstanden. Dies erlaubt Spielern maximal eine Kopie jeder Karte, je fünfzehn Karten im Deck zu haben. Bei einem typischen 45 Kartendeck, hätte man also die gleiche Limitierung, wie heute in Android: Netrunner. Auch sind die Fans bereits vor Jahren auf die Idee mit Identitäten gekommen und haben eigene Profile entwickelt, die sie VIP nannten.
Es scheint als habe Fantasy Flight bei einigen seiner Änderungen von der Community inspirieren lassen. Ohne zusätzliche Regeln, gefällt mir Android : Netrunner nach wie vor besser. Aber vielleicht hat sich ja bei dem einen oder anderen Leser die Meinung geändert?
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Android Netrunner – die Unterschiede in Bildern